2021

Entdeckung Nummer 13

„Projekt X“

Weingut Albrecht Schwegler / Württemberg

(29 € / ausverkauft)

Ein verboten guter Wein!

„Wie alles begann? Ich saß auf dem Bagger als du mich angerufen hast!“, erzählt Aaron Schwegler (Jahrgang 1988) lachend, als ich ihn für diese Zeilen befrage. Aber eigentlich begann unser gemeinsamer Entdeckungswein schon viele Jahre früher, als ich das erst 1990 gegründete Weingut seines Vaters im Remstal besuchte und restlos begeistert von den Weinen war. Es war damals – und würde es für viele Jahre sein, bis Aaron es auf heute 14 Hektar Rebfläche vergrößerte – das mit nur 0,66 Hektar beste Garagenweingut Deutschlands. Im Nebenerwerb geführt entstanden hier einige der komplexesten und langlebigsten Rotwein-Cuvées Deutschlands. Dieser Cuvée-Tradition fühlt Aaron sich verpflichtet, der zu den besten und qualitätsbesessendsten Winzern seiner Generation gezählt werden muss, und das nicht nur in Württemberg, sondern in ganz Deutschland. Heute gibt es vom mittlerweile bio-zertifizierten Gut auch Weißweine und sogar rebsortenreine Tropfen oder Einzellagenweine. „Aber cuvéetiert wird auch bei denen, das ist unserer DNA: Deshalb war klar: der Entdeckungswein muss auch eine Cuvée sein. Und zwar eine die es bei uns noch nie gegeben hat.“

Die Idee für diese ist auf einem anderen Kontinent geboren. Aaron hatte während seiner Ausbildung auch in Kalifornien gearbeitet, beim Weingut „Au Bon Climat“ des legendären Jim Clendenen. Der rote Shiraz wird dort immer mit 10-25% Viognier – also einer Weißweintraube! –vergoren. Das Ergebnis ist ein Rotwein mit enormer Frische. Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels ist es

für Winzer, die ihre Weine nicht ansäuern wollen, eine immer drängendere Frage, wie sie ihre Tropfen mit ausreichend Frische auf die Flasche bringen können. Diese uralte Technik könnte eine Lösung sein.

Aarons Idee: das machen wir mit Lemberger und Riesling. Zwei klassischen Rebsorten bei denen Wein-Deutschland immer noch nicht so richtig begriffen hat, welche beeindruckenden Qualitäten daraus in Württemberg entstehen.

Das Problem: In Deutschland ist diese Technik nicht erlaubt. Zwar gibt es Schillerwein oder Rotling, bei denen rote und weiße Trauben ebenfalls zusammen eingemaischt werden, aber sie werden dann so früh abgepresst, dass der Wein roséfarben ist – dunkelrote sind im Weingesetz nicht vorgesehen. Aarons Idee war Schillerwein zu machen – und dann „aus Versehen“ zu spät abzupressen. Im Kellerbuch würde „Schillerwein“ stehen, in der Flasche wäre aber Roter. Die Weinkontrolle holte Aaron direkt mit ins Boot, denn er wollte niemanden übers Ohr hauen, sondern nur kreativ eine Lücke im starren Deutschen Weingesetz finden. Allerdings sagte die Weinkontrolle: pfiffige Idee, aber wir glauben dir nicht, dass ein so kompetenter Winzer wie du vergisst rechtzeitig abzupressen. Um den Weg einer absichtlich erzielten Ablehnung bei der Qualitätsweinprüfung diplomatisch zu umgehen ist der Wein nun als Rotling und schwäbischer Landwein deklariert, somit ist die Prüfung der Farbe dem Konsumenten überlassen. Schließlich handelt es sich hierbei ja aber auch um Wein und nicht um Augentropfen.

Die Lagen für den Entdeckungswein wählte Aaron schon früh aus, und sie sind sehr konträr. Die über 30 Jahre alten Rieslingreben stehen im Korber Kreut, einem Weinberg mit schweren Böden, die Löß und Sandstein aufweisen. Die Lemberger-Stöcke befinden sich dagegen im Schnaiter Warmen Kriegsberg und sind im Schnitt über 25 Jahre alt. Die Böden dort sind leichter, und die Lage liegt deutlich höher, auf 300 Meter und hart am Wind.

Aaron will die Jahrgänge in seinen Weinen schmeckbar machen. Also kein Saftentzug, keine Säuerung, und nur vorsichtige Chaptalisation. „2020 hatten wir große Verluste durch Frühjahrs-Frost, auf drei Hektar sogar Totalausfall, deshalb gibt es auch keinen Pinot Noir. Die späten Sorten wie Riesling waren in der Regel aber weniger betroffen, und der Lemberger stand rund 20 Meter über dem Frostbereich. Danach war es vom Wetter her ein sehr entspanntes Jahr, mit Niederschlägen zum richtigen Zeitpunkt – aber wegen Corona trotzdem verrückt. Wir hatten zum Beispiel noch nie so viele Praktikanten. Das war durch den Lockdown bedingt, wo Leute aus der Gastro kamen. Wir wurden zu einer richtigen Hofkommune, haben uns total isoliert. Es ging immer nur einer einkaufen, und abends wurde zusammen gegrillt. Der aufwendigste Gang war der zum Altglascontainer!“

Bei der Lese stand Aaron dann vor der Frage, in welchem Verhältnis er die zwei Traubensorten einmaischen sollte. „Wir haben Spielereien gemacht und die Beeren zusammen probiert. 2 Beeren Riesling, 2 Lemberger, dann 4 zu 1. Und so weiter. Daraufhin haben wir das entschieden. Gemäß dem Motto: was als Trauben zusammen schmeckt wird auch als Wein zusammen schmecken!“

Gesagt, getan. Am 22. September wurde der Lemberger mit 96 Grad Öchsle geholt und der Riesling mit 98. Danach wurde der Lemberger komplett abgebeert, der Riesling kam als ganze Trauben dazu – in einer Art Schichtsalat-Verfahren. „Wir haben unten mit dem Lemberger-Maische vorgelegt, dann den Riesling vorsichtig darauf, damit die Trauben nicht kaputt gehen, und dann wieder Lemberger-Maische drauf und alles zusammen in zwei 800-Liter-Kleingebinden ohne Kühlung oder Temperatursteuerung vergoren.“ Zwischen den beiden Gebinden wäre genau ein Paul Platz gewesen, erzählte Aaron mir. Ein Paul? „Ja!“, antwortete Aaron lachen. „Unser Saisonarbeiter mit dem größten Bauchumfang heißt Paul, deshalb muss zwischen den Maischegärbehältern immer ein Paul Platz sein.“

Knapp vier Wochen gärte die Maische, gut zwei Tage danach wurde sie abgepresst. Zuerst ging es ins Edelstahl zum Sedimentieren. dann in vier Barrique-Fässer, wo der Wein wieder anfing zu gären. „Das ist eher atypisch zu dem was bei den Rotweinen passiert. Aber in den Rieslingbeeren steckte noch etwas Zucker.“

Die Fässer waren allesamt Zweitbelegung, hälftig von den Tonnellerien Chassin sowie François Frères, und stammten von der Schweizer Winzer-Legende Daniel Gantenbein, zu dem Aaron seit seinem Praktikum ein gutes Verhältnis pflegt. „Das ist ein sehr enges und feines Holz, im unteren Bereich bei den Toastungs-Graden.“

Mit Kreide schrieb Aaron „Projekt X“ auf die Fässer, und der Name war geboren. „Unser Entdeckungswein war immer kräuteriger und frischer als die ‚normalen‘ Lemberger, und machte seinen BSA deutlich später.“ Seine Sorge war, dass man den Riesling vorschmecken könnte, doch das war zu keinem Zeitpunkt der Fall. „Nur wer weiß, dass 25% Riesling drin sind schmeckt es auch!“. Zehn Monate blieb der Wein in den Fässern, dann wanderte er zur Vermählung für zwei Monate in einem großen Edelstahl-Tank. Schließlich kam er im Dezember 2021 ungeschönt, unfiltriert und nur mit wenig Schwefel auf die Flasche.

„Mit dem Wein“, erzählt Aaron mit mehr als verdientem Stolz in der Stimme, „war ich immer zufrieden und hab ihm vertraut. Meine Sorge war nur, dass es schmeckt, wie wenn man einen Rotwein und einen maischevergorenen Weißwein zusammenbringt. Aber das ist kein bisschen so.“

Aktuell (Stand Dezember 2021) versteckt sich der Wein und macht erst am zweiten, dritten Tag richtig auf. Was sein Tanningerüst betrifft kann man ihn definitiv lange liegen lassen, aber er kann auch jetzt schon mit viel Genuss getrunken werden. „Durch seine Frische hat er den Gluck-Gluck-Faktor!“.

Aaron empfiehlt ihn etwas kühler zu geniessen („Von der Temperatur her ist er ein Grenzgänger zwischen Speisekammer und Kühlschrank“), und aus einem großen Rotweinglas - er selbst nimmt eines für Burgunder. Besonders schön finde ich Aarons Vergleich mit Essen. „Das Projekt X ist wie Pasta al dente. Es hat Biss und ist kräftig wie eine Vollkornnudel. Ein Wein der Reife und Frische kombiniert.“

Dieser Tropfen war eines der größten Abenteuer und Wagnisse in der Geschichte der „Deutschen Wein-Entdeckungs-Gesellschaft“. Vielen Dank, Aaron, dass du den Mut dazu hattest und diesen großartigen, absolut einzigartigen und im wahrsten Sinne des Wortes verboten guten Wein auf die Flasche gebracht hast! Und auch noch jedes Etikett bemalt hast – mit gelber Farbe für Riesling und roter für Lemberger. So ist jede Flasche „Projekt X“ zu einem echten Unikat geworden