2022

Entdeckung Nummer 14

„Aer“

Weingut Georg Breuer, Rüdesheim am Rhein / Rheingau

(28 € / ausverkauft)

Im Nebel geboren

Rückwirkend wird mir klar, dass dieser Wein schon bei der Lese sein Spielchen mit uns getrieben hat. Und uns auf seine Art gesagt hat, was auf uns zukommt.

Aber von Anfang an.

Eine meiner großen Weinlieben ist der klassische Riesling Kabinett. Ein Weintyp, der dank kecker Säure und genau dem richtigen Maß an Restsüße eine ungemeine Saftigkeit und klare Frische am Gaumen entwickelt. Dieser Kick ist eines der größten Vergnügen, die Wein bereiten kann.

Eine andere meiner großen Weinlieben sind die unglaublich filigranen, tänzelnden und dabei hochmineralischen Tropfen des Rheingauer Weltklasse-Weinguts Georg Breuer – das zu meinem Bedauern allerdings keinen restsüßen Riesling Kabinett erzeugt. Durch ein anderes, faszinierendes Projekt – Klangweine, bei denen Fässer mit Beethoven beschallt wurden (was den Wein tatsächlich veränderte, hier kann man ihn bestellen: invinoson.wordpress.com) – hatte ich die Freude mit Theresa Breuer zusammenzuarbeiten, die ich menschlich wie fachlich seit vielen Jahren ungemein schätze. Mit nur 20 Jahren hat sie einst die Leitung des Spitzenweinguts übernommen, es vergrößert und in die Zukunft geführt.

Ich fragte Theresa, ob sie nicht Lust darauf hätte für die Entdeckungsgesellschaft einmalig einen fruchtsüßen Kabi zu erzeugen. Zu meiner großen Freude sagte sie sofort zu. Aber aus welcher ihrer diversen Toplagen sollte der Kabi kommen? Wegen der rassigen Säure, die wir anstrebten, durfte es keine zu warme Parzelle sein.

Hier kam uns zugute, dass 2019 das Lorcher Weingut Altenkirch übernommen wurde, und damit 15 Hektar Weinberge. Lorch ist das vergessene, große Terroir des Rheingaus - was wohl vor allem daran liegt, dass es eigentlich gar nicht im Rheingau, sondern im Mittelrhein liegt, aber weinrechtlich zu ersterem gezählt wird. Das Kleinklima ist hier kühler und neben Hunsrückschiefer prägt auch Taunusquarzit die Böden, was zu Weinen mit einer fast salzigen Mineralität führt. Auch weisen die Lorcher Tropfen eine große Rassigkeit und feinwürzige Aromen auf. Ideale Voraussetzungen für einen Kabi!

Pfaffenwies ist die Lorcher Lage aus der Theresa und ihr Team ein Großes Gewächs holen, direkt daneben und genauso gut (sogar mit etwas mehr Schiefer!) findet sich der Bodenthal-Steinberg. Hier hat das Weingut allerdings so wenig Besitz, dass es sich nicht lohnt den Wein einzeln auszubauen.

Es sei denn, man ist auf der Suche nach einem Fund für die „Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft“!

Gelesen wurden die Trauben mit 91 Öchsle am 10.10.2021. Um 9.48 Uhr begann die Lese, so dass der Trupp um 10.10 Uhr und 10 Sekunden bei der Lese war. Eine närrische Zahl, in Köln sagen wir: eine jecke. Es gibt sogar noch eine: die drei Parzellen, von denen der Wein stammt, haben die Flur-Nummer 111, 112 und 113. Und auch das Wetter war jeck, die Trauben wurden nämlich bei Nebel

geerntet, der sich bis zum Mittag auflöste. Nebel verschleiert die Sicht, er lässt einen nicht erkennen, was vor einem liegt. Und genau das hätte das Motto für diesen Wein sein können.

Deshalb hat er auch den lateinischen Namen für Nebel erhalten „Aer“ – passend für eine Region, die ihren Weinbau bis auf die Römer zurückführt. Das kongeniale Etikett schuf übrigens Theresas Schwester Marcia Breuer, eine erfolgreiche Künstlerin im grafischen und fotografischen Bereich (marciabreuer.de). Es gibt drei Varianten des Etiketts, schließlich ist Nebel ständig im Wandel.

Der „Aer“ blieb auch nach der Lese im Nebel und führte uns an der Nase herum.

Er wurde spontan vergoren und nicht wie sonst beim Gut üblich im Holzfass ausgebaut, sondern im Edelstahl, um seine Frische maximal zu erhalten. Im Winter legte er in Sachen Gärung plötzlich eine Pause ein, gab dann im Frühjahr wieder Gas. Danach durfte er auf der Vollhefe bleiben, denn er sollte ja erst kurz vor Weihnachten gefüllt werden.

Am 28. Juni schrieb mir Theresa:

„Hier ein kurzer Eindruck zu dem Wein… geschmacklich liegt er schätzungsweise bei ca. 20 g/l Restzucker und ist super fein und extrem klar strukturiert mit einer herrlichen Frucht! Er will gerne noch weiter blubbern und würde sicher auch noch einiges an Restzucker weg machen! Nun ist die Frage… sollen wir dem Wein folgen und ihn einfach werden lassen, oder ganz bewusst steuern und ihn jetzt schwefeln?“

Theresa bot an eine Analyse zu machen – und es stellte sich völlig überraschend heraus, dass der Wein bereits im geschmacklich trockenen Bereich lag! Sobald Sie ihn trinken werden Sie verstehen, warum das im Weingut niemandem aufgefallen ist. Der „Aer“ schmeckt so fruchtig, ja so fruchtsüß, dass man einfach von Restzucker ausgeht. Dabei hat er gerade mal 3,7 Gramm pro Liter!

Theresa schrieb:

„Wir haben uns von der wahnsinnig Frucht-Aromatik total fehlleiten lassen und nun gibt es einen tollen Wein, aber eben nicht den, den du im Kopf hattest!“

Wieder hatte der „Aer“ uns also im Nebel gehalten, hatte uns etwas vorgegaukelt, was es gar nicht gab. Und uns gezeigt, dass man eben nicht alles in der Hand hat, weder was die Natur noch was das Leben betrifft. Manchmal kommt es einfach so, wie es kommen muss.

Noch etwas hatte im Nebel gelegen und stellte sich erst bei der Analyse heraus: der Wein hatte im Frühjahr parallel zur Spontangärung einen BSA durchgemacht, einen biologischen Säureabbau (auch als malolaktische Gärung bekannt), bei dem Apfelsäure in weichere Milchsäure umgewandelt wird. Das wollten wir eigentlich nicht, denn es ging ja darum die Rassigkeit des Weins zu erhalten.

Aber der „Aer“ hatte uns einfach ausgetrickst und verdeckt von der Spontangärung die Nummer durchgezogen.

Auch bei der Menge hat uns der Wein ein Schnippchen geschlagen: gerade einmal 598 Liter gibt es, weswegen die Bestellmengen so stark reduziert werden mussten.

Als ich den “Aer“ erstmals in Theresas Probierstube in Rüdesheim verkoste ist auch Kellermeister Markus Lunden anwesend. Schon beim Reinschnuppern bin ich baff: im Bukett findet sich ja Cujamara Split! Ich bin geradezu perplex ob der explosiven Fruchtaromatik. Und es ist eine der Lieblingseissorten meiner Kindheit (und ehrlicherweise auch heute noch), am Gaumen gesellt sich dann noch roter Apfel dazu, Wildkräuterwürze, und Saft, Saft, Saft. Man spürt zudem die mineralische Prägung wie ein feines Netz, und die Säure erzeugt trotz ihrer Seidigkeit enorm viel Frische (es sind übrigens 6,8 g/l). Mit nur 12,1 vol.% Alkohol gleitet er herrlich leicht über die Zunge, wie eine kühle Sommerbrise.

Der Wein wurde übrigens nur ganz leicht geschwefelt, nicht geschönt, und nicht – wie sonst im Weingut üblich - filtriert, weshalb er einen Hauch trüb, um nicht zu sagen neblig ist. Wir finden das passt perfekt zu ihm. Wegen der Trübung steht auf dem Etikett auch nur „Rheingauer Landwein weiss“, denn eine AP-Nummer bekommt ein Wein nur, wenn er blitzeblank ist.

Seine charmante Primärfruchtphase wird er Markus Lunden zufolge drei, vier Jahre halten. Meine – viel zu wenigen! – Flaschen werden bis dahin vermutlich alle schon leer sein. Viel zu köstlich ist der Wein, als dass ich diszipliniert genug sein werde, um seine Reife abzuwarten.

Vielen, vielen Dank an Theresa und ihr Team für diesen fantastischen und einzigartigen Riesling, der im wahrsten Sinne ein unerwarteter Fund ist! Der ungeplanteste Fund in der Historie der Wein-Entdeckungs-Gesellschaft – und einer der allerschönsten!