2024
Entdeckung Nummer 16
"Jeanne"
Weingut St. Antony, Nierstein / Rheinhessen
(26,50 €)
Die Jungfrau vom Roten Hang
Diese Weinentdeckung begann mit einer kurzen Mail, die mich am 26. Juni 2019 erreichte:
Hallo Carsten,
aus aktuellem Anlass eine Frage an Dich: Hast Du mal daran gedacht, mit deiner Weinentdeckungsgesellschaft einen Winzer zur Erzeugung eines ernsthaften Schaumweines aus Gelbem Orléans zu bewegen?
Schönen Gruß
Thomas Riedl
Mit Thomas hatte ich schon mehrfach im Weinberg meines Riesling-Projekts an der Mosel gestanden, wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden. Seine Leidenschaft und sein Sachverstand zum Thema Historische Rebsorten beeindruckte mich sehr. So arbeitet er seit Jahren an einem Katalog namens „Deutsche Weine aus seltenen historischen Rebsorten und ihre Erzeuger“ der ihresgleichen sucht. In einer späteren Mail schrieb er, dass bisher niemand einen Sekt aus der uralten Rebsorte hergestellt hätte. Es wäre also eine echte Weltpremiere. So viel vorweg: die ist es nicht ganz geworden. Das Weingut Abthof hat 2019 Gelben Orléans 2019, war also ein Jahr schneller als wir. Im Bereich der deutschen Spitzenweingüter ist unser Fund aber der allererste.
Ich war nach Thomas‘ Mail direkt Feuer und Flamme. Er schrieb mir dann noch, warum er dieses Projekt so sinnvoll, ja geradezu naheliegend findet:
Die Säurestruktur wäre die Basis für einen guten Sekt. Es heißt ja, dass der Anteil des säurestarken, spät reifenden Orléans bis in die 1920er Jahre in relevantem Maß dafür verantwortlich war, dass die alten Rheingauer Rieslinge so haltbar waren.
Der Rüdesheimer Apotheker und Weingutsbesitzer Benedict Kölges schrieb in seinem »Önologischen Real-Lexikon« von 1848 über den Orléans: »Dieser Rebstock verlangt einen sehr tief gerotteten, hitzigen, steinigen Boden und eine ausgezeichnet warme Lage an steilen Bergabhängen. Der Wein hat Geist, Gehalt und Dauer.“
Ich machte mich sofort auf die Suche nach einem Weingut für diesen Fund. Nur sehr wenige Weltklassebetriebe in Deutschland bauen die seltene Rebsorte an. Die Knipsers, mit denen wir damals den ersten Wein entdeckt haben, Theresa Breuer aus dem Rheingau, die pro Jahr gerade einmal 300 Flaschen produziert – und das Weingut St. Antony in Rheinhessen, mit seinem Betriebsleiter und Mitbesitzer Dirk Würtz. Einst Enfant terrible der Weinszene und einer der ersten deutschen Weinblogger, heute Elder Statesman und einer der bestgekleideten Männer der vinophilen Welt. Mit Dirk hatten wir 2017 unseren „Back to the future“ beim Rheingauer Weingut Balthasar Ress entdeckt, einen virtuellen gemischten Satz. Ein großartiger Fund, eine tolle Zusammenarbeit.
St. Antony startete einst mit 1918er Jahrgang, heute ist es eines der beeindruckendsten und bedeutendsten Weingüter Rheinhessens, mit 60 Hektar Rebflächen, zertifiziert biodynamisch, in den Steillagen kommen keine Maschinen zum Einsatz, alles geschieht dort per Hand. St. Antony ist auch Partner des Fußballvereins Mainz 05, womit ich als Fan des 1. FC Köln sympathisieren kann – wir sind schließlich auch ein Karnevalsverein!
Also fragte ich umgehend Dirk – und Dirk sagte umgehend zu. Seine Orléans-Reben stehen im weltberühmten Roten Hang, genauer am Hangfuß des legendärsten Teils, der steilsten Lage, die den Namen Niersteiner Pettenthal trägt. Es gab Zeiten, bis Mitte des 19. Jahrhunderts, da war der Rote Hang dominiert vom Orléans. Der Überlieferung nach wurde er einst von Karl dem Großen aus Frankreich an den Rhein gebracht. Vermutlich waren es aber die Zisterzienser des Klosters Eberbach, die ihn im 12. Jahrhundert erstmals im Rheingau pflanzten. Aber die spätreifende Sorte wurde vom Riesling verdrängt, der letzte bekannte Orléanswein des 20. Jahrhunderts wurde 1921 in Rüdesheim gekeltert. Erst um die Jahrtausendwende kehrte die einst so berühmte Rebe wieder ein wenig zurück in den kommerziellen Weinbau.
Dirk hat sie von seinem Vorgänger, dem leider verstorbenen Felix Peters geerbt. Dieser hatte 2015 die Gelegenheit von Theresa Breuer einige Edelreißer zu bekommen, um eine kleine, steinige Fläche mit rotem Tonsandstein, gerade einmal 2000qm, umzuveredeln. Im Grunde genommen wurde nichts anderes gemacht, als einen kleinen Trieb des Orléans auf einen alten, wurzelechten Rieslingstock zu setzen, damit er darauf wachsen kann.
„Als du mit der Idee für einen Orléans-Sekt ankamst“, erzählte mir Dirk dieses Jahr, „dachte ich: endlich mal was Sinnvolles, das man draus machen kann! Der Orléans hat fürchterlich große Trauben, Beeren wie Mirabellen, und dicke Schalen, aber für Sekt ist der richtig gut. Man kann ihn mit Sylvaner vergleichen, denn er bleibt lange gesund, und es dauert lange bis es reif ist. Das sind auch schöne Tafeltrauben, die kann man gut essen, schmecken sogar ein bisschen wie Sylvaner.“
Für seine wenigen Orléans-Flaschen pro Jahr gibt es eine kleine Fangemeinde, deshalb sind sie auch immer schnell weg. Aus 2020 haben die Fans allerdings nichts erhalten, denn der gesamte Ertrag wurde für die „Deutsche Wein-Entdeckungs-Gesellschaft“ versektet!
Es war ein warmer Jahrgang – der dritte nach 2018 und 2019. „Die Menge ordentlich, und die Lese völlig entspannt, weil alles kerngesund war. Eine irrsinnig schöne Frucht, untypisch für den Roten Hang der sonst aromatisch dunkler und kühler ist. Die Weine entwickeln sich sehr gut, opulent fruchtig.“
Die Lese des Orléans fand am 30. September 2020. statt, der Ertrag auf den Hektar umgerechnet betrug gerade einmal 34 hl/ha, mit 82 Grad Öchsle. Insgesamt 900 Liter.
„Alles Handlese, dann spontan vergoren, im Edelstahl ausgebaut. Der Grundwein wanderte zur zweiten Gärung dann über den Rhein nach Hattenheim zu Mark Barth, wo er von 29. April 2021 bis 5. Juli 2024 auf der Hefe lag, also 38 Monate.“
Mark Barth ist einer der renommiertesten Versekter Deutschlands und gilt als Pionier des Lagensektes. Zudem sind Dirk und er seit vielen, vielen Jahren gute Freunde.
Wir einigten uns darauf, dem Sekt keine Versanddosage zu verpassen, sondern ihn ganz pur als Brut nature abzufüllen. Seine inneren Werte: 12,5 Alkohol, 6,8 Säure und 0,1 Restzucker.
Dirk erinnert sich noch genau an seinen ersten Schluck. „Ich fand es sehr klar, straight, mit richtig viel Grip und Zug. Ich war echt erstaunt, das hätte ich dem Orléans gar nicht zugetraut! Ganz klar in der Frucht, extrem animierend mit einer tollen Perlage. Man kann ihn jetzt mit Spaß saufen, aber auch in fünf bis sechs Jahren, kein Problem. Das Zeug ist richtig gut und hat Potenzial!“
Der Name unserer Entdeckung lag diesmal auf der Hand … oder besser in der Geschichte. Bei Orléans denkt wohl jeder an die berühmte Johanne von Orléans, im französischen Jeanne d’Arc genannt, die berühmte französische Widerstandskämpferin aus dem 15. Jahrhundert, welche im Hundertjährigen Krieg auf Seiten der Franzosen gegen die Engländer kämpfte. Heute wird sie als Nationalheldin und von der Kirche als Heilige verehrt. Ein derart historischer Name passt wunderbar zu einer so historischen Rebsorte. Zum anderen beschreiten wir mit dem Sekt aber ganz neue Wege, deshalb ist die Flaschen-Ausstattung modern – und jede Flasche ein Einzelstück. Danke an dieser Stelle an Sebastian Strub, den Produktionsleiter bei St. Antony für die viele Extra-Arbeit! Und danke natürlich an Dirk und sein ganzes Team für diese großartige Entdeckung und die tolle Zusammenarbeit!
Eine Besonderheit ist bei diesem Fund auch das Rezept „Skrei / Erbse / Speck“, denn es stammt von Karsten Müller, dem Koch des Weingutes, wo er die Mitarbeiter verköstigt. Vorher war er im Restaurant „Das Nack“ in Gau-Bischofsheim und dem „Jonas im Templer“ in Mainz tätig. Für St. Antony reist er auch durch die Republik und moderiert Weinmenüs und Proben. Diesmal stammen Rezept und Wein also aus einem Haus!